Zweite Bundesliga: St. Pauli mit drittem späten Doppelschlag


„Eine starke Moral“ attestierte Trainer Timo Schultz seinen Schützlingen, als er am Sonntag um 15.28 den Innenraum des Millerntor-Stadions verließ. Damit lag er richtig, denn einen 0:2-Rückstand gegen den FC Erzgebirge Aue drehte der FC St. Pauli mit zwei Toren in den letzten zehn Minuten noch zu einem 2:2-Unentschieden. Im Vergleich zur vorherigen 1:2-Niederlage bei Eintracht Braunschweig veränderte Schultz seine Anfangsformation auf fünf Positionen, wobei der gravierendste Wechsel der im Tor war: Anstelle von Robin Himmelmann, der zuletzt bei einigen Gegentreffern keine gute Figur abgegeben hatte, übernahm Svend Brodersen den Posten zwischen über den Pfosten. Zudem stand der A-Jugendliche Igor Matanovic erstmals in der Start-Elf.

Im Millerntor-Stadion gab es schon in der zweiten Minute die erste Torannäherung der Heim-Elf, bei der Philipp Ziereis nach einem Eckstoß über die Latte köpfte. Nach zehn Zeigerumdrehungen leitete sich Finn Ole Becker dann einen folgenschweren Fehlpass im rechten Mittelfeld: Die Auer schalteten über ihre linke Seite schnell um, Jan Hochscheidt passte dank Beckers Rückzugstaktik mühelos zu Florian Krüger und dessen Flanke versenkte Pascal Testroet in der Mitte vor Leart Paqarada ins lange Eck – Brodersen sprang vergeblich. Beim nächsten Gäste-Angriff rettete James Lawrence in höchster Not vor Ben Zolinski (12. Minute), doch ein weiterer Rückschlag für die Heim-Elf folgte sogleich: Ziereis musste mit einer Verletzung am rechten Oberschenkel passen und Daniel Buballa übernahm neben der Position in der Abwehr auch die Kapitänsbinde von Ziereis.

Buballa fügte sich mit einer Gelben Karte ein, an der allerdings Rodrigo Zalazar die Schuld trug: Die Leihgabe des Erstligisten Eintracht Frankfurt hatte sich nach einer Balleroberung links festgerannt, woraufhin die Gäste ihrerseits einen Konter vortrugen und Buballa mit einem taktischen Foul Hochscheidt stoppen musste (17.). Zalazar verzog kurz darauf von halblinks voll (19.), ehe Boris Tashchy mit einer Linksflanke Matanovic suchte – doch Sören Gonther, der von 2012 bis 2017 noch für die Kiez-Kicker verteidigte, klärte vor dem 17-Jährigen, dessen Grätsche dann sogar noch als Foul ausgelegt wurde (22.). Brodersen konnte sich erstmals auszeichnen, als er einen Schuss von Calogero Rizzuto, der gegen Becker von halblinks aus das kurze Eck anvisierte, parierte (29.). Im direkten Gegenzug blockten die Gäste sowohl Schüsse von Becker als auch von Leart Paqarada ab (30.).

Matanovics ersten Torschuss gab es in der 33. Minute, als er eine Paqarada-Flanke aus dem rechten Halbfeld über die Latte köpfte. Kurz darauf ging ein Fernschuss, den Daniel Kofi Kyereh von halblinks aus abgegeben hatte, über das lange Eck (34.). Die bis dahin beste Chance auf den Ausgleich gab es nach einem Abwehrfehler von Florian Ballas, der es Tashchy ermöglichte, flach das lange Eck anzuvisieren – doch FCE-Keeper Lars Männel hielt stark (40.). Nachdem in der Folge auch Becker erst knapp rechts am langen Pfosten vorbei (42.) und dann einen Tick zu hoch gezielt hatte (44.), gehörte die letzte Aktion der ersten Halbzeit wieder den Sachsen. Nach Buballas Ballverlust versuchte es Krüger von links mit einem Heber, der aber über das lange Eck hinweg flog (45.).

Zu Beginn des zweiten Durchgangs wogte das Geschehen munter hin und her. Zunächst sprang Kyereh knapp an einer Linksflanke von Stefan Ohlsson vorbei (47.), dann hielt Brodersen einen Hochscheidt-Schuss im Nachfassen vor Krüger (49.), ehe Kyereh aus 18 Metern in Männel seinen Meister fand (51.). Beim bis dahin schönsten Spielzug des Tages suchte Becker halbrechts Matanovic, der aber am herausstürzenden Männel hängen blieb (59.). Kurz darauf fing der Torwart auch einen Kopfball von Tashchy (61.) – und als er an einem Eckstoß vorbeiflog, konnte Buballa dies nicht ausnutzen, da sein artistischer, mit dem Rücken zum Gehäuse stehend abgegebener Schuss deutlich zu hoch geriet (63.). Derweil war Brodersen im Glück, als ein Hochscheidt-Kracher mittig genau auf ihn kam (67.).

Die nächsten beiden Gelegenheiten gehörten dann wieder dem agilen Matanovic: Nach guter Vorarbeit des eingewechselten Lukas Daschner erwischte er den Ball aber nur noch minimal mit seiner Pike, weshalb Männel mühelos parierte (69.). Und nur wenige Sekunden später hatte Matanovic den Keeper von halbrechts aus sogar schon überwunden, doch der zurückeilende Gonther klärte vor der eigenen Torlinie und verhinderte, dass an seiner früheren Wirkungsstätte der Ausgleich fiel. Dann war Kyereh im Pech, als er von der Strafraumgrenze aus abzog, der Ball aber vom rechten Pfosten zur Seite wegsprang – es war zum Verzweifeln (73.). Statt 1:1 stand es fünf Zeigerumdrehungen später 0:2. Als Krüger über Brodersen hinweg traf, hob der Schiedsrichter-Assistent seine Abseitsfahne, doch der Video-Assistent stellte nach Betrachtung der TV-Bilder fest, dass der Schütze beim Pass von Dimitrij Nazarov nicht in der „verbotenen Zone“ stand.

Die Partie schien entschieden zu sein – doch die Kiez-Kicker versuchten es weiter und bäumten sich mit Macht gegen die drohende Niederlage auf. Dafür wurden sie schnell mit dem Anschlusstreffer belohnt, der dem erfolgreichen Zusammenspiel dreier „Joker“ entsprang: Marvin Knoll schlug von links einen Eckstoß herein, den Simon Makienok verlängerte und Maximilian Dittgen am zweiten Pfosten artistisch unter die Latte bugsierte (81.). Inklusive Nachspielzeit waren nun noch mehr als zehn Minuten auf der Uhr, und diese nutzten die Hamburger. Zunächst blieb Dittgen bei zwei weiteren Vorstößen links glücklos. Dann holte er gegen den hüftsteifen Philipp Riese einen Freistoß heraus, den erneut Knoll in die Mitte zirkelte: Lawrence verlängerte ihn im Duell mit Gonther an den rechten Pfosten, aber nun stand Makienok richtig und schoss flach links am grätschenden Ballas vorbei flach zum 2:2 ein (89.).

Dem ausgelassenen Jubel der St. Pauli-Akteure, an dem sich auch einige Ersatzspieler und bereits ausgewechselte Akteure beteiligten, folgte eine vierminütige Nachspielzeit, in der die Heim-Elf sogar noch auf den Siegtreffer drängte. Eine klare Chance ergab sich aber nicht mehr, ehe Schiedsrichter Lasse Koslowski (vom Frohnauer SC), der leider einen unterschiedlichen Maßstab bei der Beurteilung von Zweikämpfen anwendete, abpfiff. Nach zuvor vier Niederlagen in Folge reichte es immerhin wieder zu einem Teil-Erfolg für die Kiez-Kicker, die anders als ihr Stadt- und Staffel-Rivale Hamburger SV, der in letzter Zeit anfällig für späte Gegentreffer war, immer mehr zum „Team der letzten Minuten“ werden: Schon in den Spielen beim SV Darmstadt 98 (84./86. Minute) und beim SV Darmstadt 98 (80./95.+5) war mit Doppelpacks in der Schlussphase zumindest jeweils noch ein Punkt mitgenommen worden.

(Johannes Speckner)

 Redaktion
Redaktion Artikel