
Am Mittwochabend gastierte der Bundesligist Hamburger SV beim TSV Winsen/Luhe, der in der Landesliga Lüneburg (sechsthöchste Spielklasse) zurzeit Tabellen-Fünfter ist. Auf der schönen Sportanlage „Jahnplatz“ an der Luhdorfer Straße, die im vergangenen Jahr eröffnet worden war, bot HSV-Coach Thorsten Fink zwar mit Sven Neuhaus nur seinen etatmäßig dritten Torwart auf – mit Marcus Berg, Dennis Diekmeier, Marcell Jansen, Zhi Gin Lam, Michael Mancienne, Per Ciljan Skjelbred, Robert Tesche und Heiko Westermann standen aber auch acht Akteure in der Start-Elf, die im Ernstfall normalerweise zumindest zum 18er-Kader des Bundesligisten gehören sollten. Als sich Westermann nach zwei Minuten einen Ballverlust leistete (der ohne ernste Folgen blieb), dachten die meisten der knapp 4.000 Zuschauer wohl noch: ‚Das kann passieren!‘ Und in der achten Minute schien alles seinen erwarteten Gang zu nehmen, als Berg den Ball nach einem Pass von rechts zum 0:1 ins lange Eck schob.
Doch dass einige HSV-Spieler die Partie in Winsen nicht allzu ernst nehmen, zeigte sich spätestens in der elften Minute: ‚Hoch, Heiko!‘, rief Neuhaus zu Westermann, bevor dieser einen langen Ball vor einem Winsener Stürmer wegköpfen musste. Doch Westermann sprang nicht hoch, er köpfte den Ball im Stehen weg. ‚Ein gutes Pferd springt nur so hoch, wie es muss‘, könnte man dazu nun sagen – doch irgendwie zeugte Westermannw Abwehraktion auch von einer gewissen Portion Überheblichkeit. TSV-Torwart Maik Steinwender zeichnete sich aus, als er einen Schuss, den Jansen aus spitzem Winkel abgegeben hatte, weg boxte (14.). Vier Minuten später, erneut nach einem Pass von rechts, erhöhte Jansen aber auf 0:2. Die Zuschauer-Diskussionen darüber, ob es heute wohl ein zweistelliges Ergebnis geben würde, wurden dadurch angeheizt. Doch in der 20. Minute fiel vollkommen überraschend der Anschlusstreffer für die Hausherren: Bei einer Linksflanke von Erkan Alkan kam Neuhaus zwar aus seinem Tor heraus, sprang aber vollkommen falsch hoch – und so konnte TSV-Torjäger Yannik Heidrich zum 1:2 ins verwaiste Gehäuse einköpfen. Ein klarer Torwart-Fehler! In der 31. Minute wäre sogar um ein Haar der Ausgleich gefallen: Heidrich hatte nach einem langen Pass freie Bahn und ließ den heran grätschenden Skjelbred mit einer geschickten Körpertäuschung aussteigen (wer war in dieser Szene bitte der Amateur?); anstatt aus acht Metern selbst zu schießen, legte Heidrich noch einmal quer zu Alkan, der den Ball am langen Pfosten aber aus spitzem Winkel nicht mehr richtig aufs Tor brachte. Erneut nach einem Steilpass zögerte Heidrich einen Tick zu lange, anstatt gleich zu schießen, so dass Westermann den Ball wegschlagen konnte (36.). Und der „große HSV“? Ein Berg-Schuss strich über das Ziel (34.) und einen Berg-Freistoß lenkte Steinwender über die Latte (39.), dann war Pause. In der Halbzeit nahm TSV-Trainer Gunnar Sellmer vier Spielerwechsel vor. Hannes Öhler, der ins Tor rückte, fügte sich gleich mit einer guten Parade bei Tesches 20-Meter-Schuss ein (46.); dann war ein Westermann-Fernschuss leichte Beute für Öhler (48.).
In der 52. Minute jagte Westermann einen Freistoß aus bester Position (17 Meter zentral vor dem Tor) direkt ans Bein des ganz links in der Abwehrmauer postierten Winseners. Die „Rothosen“ hatten nun wohl 80 Prozent Ballbesitz, doch die Hausherren verschoben sich immer wieder hervorragend und machten die Räume eng. Nachdem ein Jansen-Schuss noch abgeblockt wurde und knapp vorbei ging (58.) hatten die Winsener Glück, als ein Schuss von Diekmeier, der von rechts kommend aus spitzem Winkel abgezogen hatte, an den linken Innenpfosten und wieder ins Feld zurücksprang (62.). Das 1:3 lag erneut in der Luft, als Berg von rechts querlegte, Tesche aber einen Schritt zu spät kam (66.); dann schlug Jansen eine Flanke unmotiviert genau zu einem TSV-Verteidiger (67.). Danach gab es wieder einen guten Winsener Angriff, doch Neuhaus eilte weit aus einem Tor heraus und klärte soeben noch vor Julius Karp, der über rechts steil geschickt worden war. (68.). In der Schlussphase brannten einige Zuschauer noch bengalische Feuer ab, was die rundum gelungene Organisation der TSV-Verantwortlichen aber nur minimal schmälerte. Der Erstligist bestimmte derweil natürlich weiter die Partie, spielte aber noch immer inspirationslos. Einen Lam-Schuss lenkte Öhler noch über die Latte (71.), dann traf Berg nach einer Jansen-Flanke das Außennetz (73.). Negativ fiel Berg auf, als er zunächst nach einem harmlosen Zweikampf auf „Foul“ reklamierte und sich dann, nachdem der Schiedsrichter ihm keinen Freistoß zusprach, selbst ein übles Foul leistete (76.); hier hätte Referee Steffen Raida dem Schweden die Gelbe Karte zeigen müssen! In der 78. Minute rettete der Winsener Nils Jacob nach einem Eckstoß auf der eigenen Torlinie stehend und wenig später holte Öhler einen Tesche-Freistoß noch sensationell aus dem Winkel, doch in der 84. Minute fiel dann das entscheidende 1:3, als Tesche nach einer Linksflanke einköpfte (TSV-Verteidiger Kenta Ota war einen Tick zu klein, um den Ball wegzuköpfen). In der 89. Minute rettete Öhler noch einmal stark gegen Jannek Sternberg, der von halblinks freistehend abgezogen hatte, dann ertönte der Abpfiff. Während man den Winsener Spielern zu ihrer Leistung nur gratulieren kann (ein Sechs-Klassen-Unterschied war zu keiner Zeit erkennbar!), zeigte der HSV eine peinliche Vorstellung!
(JSp)