
(Foto-Credit: Johannes Speckner)
Stellen Sie sich einmal vor, es läuft die 86. Spielminute, Ihre Mannschaft liegt mit 0:2 zurück und steht, nach einer Roten Karte wegen groben Foulspiels, nur noch mit zehn Akteuren auf dem Platz. Ein Vorstandsmitglied Ihres Vereins, das auch als Offizieller auf dem Spielberichtsbogen steht, überspringt die Bande und attackiert neben dem gegnerischen Trainer auch Ersatzspieler des Gegners tätlich. Sie entschuldigen sich dafür zunächst via Instagram, wo Sie auch dem gegnerischen Team zum „verdienten Sieg“ gratulieren. Dann legen Sie aber Protest gegen das Urteil des Sportgerichtes, die Partie mit 0:2 zu werten, ein – und erreichen tatsächlich, dass dieses Urteil aufgehoben und ein Wiederholungsspiel angesetzt wird.
Nahezu jeder vernünftig denkende Mensch dürfte zu dem Schluss kommen: Das geht nicht. Aber Fakt ist: Beim Hamburger Fußball-Verband geht das sehr wohl. Denn genau so, wie eingangs beschrieben, verfuhren die Verantwortlichen von TBS Pinneberg. Ihre ersten beiden Forderungen, nämlich die Sperre von 18 Monaten gegen ihr inzwischen ehemaliges Vorstandsmitglied zu verkürzen und den Drei-Punkte-Abzug zur Bewährung auszusetzen, wurden vom Verbandsgericht abgewiesen. Aber mit ihrem dritten Ansinnen hatte die TBS-Führung tatsächlich Erfolg: Ihr Gastspiel beim FC Union Tornesch, das am 16. März aus den eingangs beschriebenen Gründen abgebrochen worden war, soll neu angesetzt werden.
„Ich bin sprachlos – ich weiß wirklich nicht, was ich dazu sagen soll“, sagte Union-Trainer Martin Schwabe, der an jenem Tag das erste Opfer der besagten Attacke gewesen war, am Dienstagvormittag auf Nachfrage von SportNord. Schwabe wollte sich „nicht weiter äußern“, sondern verwies auf Union-Vorstandsmitglied Frank Mettal, der „vereinsintern die Zuständigkeit für dieses Thema“ habe. Mettal erklärte auf Nachfrage von SportNord: „Wir sind fassungslos über das Urteil, weil uns ein klarer sportlicher Sieg genommen wurde, wodurch wir zum doppelt Geschädigten werden. Wir nehmen das erst einmal zur Kenntnis und warten auf die schriftliche Urteilsbegründung, auf die wir dann erst korrigieren können“
Sowohl Mettal als auch Schwabe waren bei der HFV-Verbandsgerichtsverhandlung nicht persönlich in Jenfeld vor Ort, sondern online zugeschaltet worden. Das schriftliche Urteil geht den Torneschern möglicherweise erst nach Ostern zu. Ob die Union-Verantwortlichen in Berufung gehen beziehungsweise überhaupt gehen können – die TBS-Führung schrieb in ihrer Stellungnahme von einem „letztinstanzlichen Urteil“ – bleibt abzuwarten.
Fakt ist, dass es in der Rechts- und Verfahrensordnung des HFV unter „Paragraph 30 Strafgewalt“ heißt:
„(2) Für unsportliches Verhalten und Tätlichkeiten von Vereinsanhänger*innen und Vereinsmitarbeiter*innen, die nicht Vereinsmitglieder sein müssen, kann der betreffende Verein, dem sie zuzurechnen sind, bestraft werden.“
Und unter „Paragraph 32 – Strafen gegen außerordentliche Mitglieder des HFV, seine Mitgliedsvereine, deren Mitglieder, Offizielle, Betreuer*innen, Trainer*innen, Mannschaften, Spieler*innen und Schiedsrichter*innen, sowie ehrenamtliche Mitarbeiter*innen des HFV“ heißt es unter anderem:
„(15) für Tätlichkeiten gegen Gegner*innen oder Zuschauer*innen: Sperre von drei Monaten bis zu fünf Jahren und/oder Geldstrafe bis zur Höhe von 3.000,00 Euro im Einzelfall. Ab einer ausgesprochenen Sperre von mindestens sechs Monaten werden der Mannschaft des Verurteilten drei Punkte abgezogen. Im Wiederholungsfall können weitere Punktabzüge und der Ausschluss der Mannschaft des Verurteilten aus dem Spielbetrieb erfolgen.“
(Johannes Speckner)