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Daran, dass der FC St. Pauli das Zweitliga-Derby gegen den Hamburger SV am Freitagabend letztlich verdient mit 3:2 gewann, besteht kein Zweifel. Allerdings hätte das Stadt-Duell in der 53. Minute auch zugunsten der „Rothosen“ kippen können. Beim Stand von 1:1 lief HSV-Stürmer Bakary Jatta rechts im Strafraum mit dem Ball gen Grundlinie, als ihn St. Paulis Verteidiger Jakov Medic, der ihm hintereilte, an der Hacke traf. Ein klarer Elfmeter – darin waren sich nicht nur die Journalisten auf der Pressetribüne des Millerntor-Stadions einig. Schiedsrichter Harm Osmers (vom SV Baden) entschied jedoch auf Abstoß, weil der Ball von Jatta zuletzt berührt worden und ins Tor-Aus gegangen war.
Der Referee aus Hannover ließ sich auch von den wütenden Protesten der Spieler sowie der Offiziellen der Gäste nicht dazu bewegen, die Szene einmal auf dem Bildschirm in Augenschein zu nehmen. Wozu auch? Es gibt ja einen Video-Schiedsrichter, der ihm sicher signalisiert hätte, wenn es ein Elfmeter gewesen wäre – das musste Osmers zumindest denken. Allerdings hieß dieser Video-Schiedsrichter Günter Perl (vom MSV München), der den HSV in seiner Funktion als Video-Referee bereits in den vergangenen gut drei Jahren zweimal in einem sehr entscheidenden Moment extrem benachteiligt hatte.
Fall eins: Am 5. Mai 2018 ging der HSV am vorletzten Spieltag der Bundesliga-Saison im Spiel bei Eintracht Frankfurt in der 25. Minute durch Tatsuya Ito mit 1:0 in Führung. Perl signalisierte Schiedsrichter Deniz Aytekin (vom TSV Altenberg) jedoch, dass der Japaner beim Zuspiel von Aaron Hunt im Abseits gewesen sein soll. Wenn, dann stand Ito Millimeter in der „verbotenen Zone“, was Perl aber – bei allem Respekt für seine damals vielleicht noch besser als heute ausgeprägten Sehfähigkeiten – mit bloßem Auge und seinerzeit auch noch ohne kalibrierte Linie nicht erkennen konnte. Eine klare Fehlentscheidung lag hier jedenfalls definitiv nicht vor und somit hätte Perl sich gar nicht einschalten dürfen! Kurz darauf gingen stattdessen die Frankfurter mit 1:0 in Führung; am Ende verlor der HSV mit 0:3, verpasste die Chance, am VfL Wolfsburg vorbei auf den Relegationsplatz 16 zu klettern und stieg eine Woche später mit zwei Punkten Rückstand auf die „Wölfe“ ab.
Am 16. Juni 2020 empfing der HSV am drittletzten Spieltag der Zweitliga-Serie den VfL Osnabrück. Beim Stand von 1:1 wurde Timo Letschert in der Nachspielzeit bei der Ausführung eines Eckstoßes klar umgerissen. Schiedsrichter Dr. Martin Thomsen (vom SV Donsbrüggen) gab Letschert für dessen Proteste die Gelbe Karte und pfiff die Partie dann ab, anstatt sich die Szene zumindest noch einmal im Monitor anzuschauen, weil Perl sich dieses Mal – obwohl hier eine klare Fehlentscheidung vorlag – eben nicht einschaltete. Deshalb rutschte der HSV vom zweiten, direkten Aufstiegsplatz hinter den VfB Stuttgart auf den dritten Rang ab und fuhr am darauffolgenden Wochenende nicht mit vier, sondern nur mit zwei Punkten Vorsprung zum Tabellen-Vierten 1. FC Heidenheim 1846, wo er mit 1:2 verlor und auf den vierten Platz abrutschte. Diesen hatten die „Rothosen“ auch im Abschlussklassement inne, mit einem Zähler Rückstand auf die Heidenheimer, die in die Relegation gingen (und hier am SV Werder Bremen scheiterten), sowie vier Punkten hinter den Stuttgartern, die als Vizemeister den direkten Wiederaufstieg schafften.
Können diese nun schon drei massiven Benachteiligungen der HSV-Kicker durch Perl innerhalb von gut drei Jahren noch Zufall sein? Ist der Mann, der ab 1998 in der Zweiten Liga und von 2005 bis zum Erreichen der Altersgrenze 2017 in der Ersten Liga pfiff, vielleicht als Video-Schiedsrichter einfach „nur“ ungeeignet? Oder hat der Groß- und Außenhandelskaufmann aus München, der in der bayrischen Gemeinde Pullach im Isertal lebt, etwas gegen den Klub aus dem Volkspark? Fakt ist, dass Perl als Schiedsrichter 27 Bundesliga-Spiele mit HSV-Beteiligung pfiff und dabei fünf Hamburger vom Platz stellte – so viele Platzverweise verhängte er gegen keinen anderen Verein. Allerdings benachteiligte Perl als Video-Schiedsrichter auch schon andere Vereine: Etwa im Mai 2019, als er ein klares Handspiel von Kerim Rekik im Bundesliga-Spiel von Hertha BSC Berlin gegen den VfB Stuttgart übersah, und im Oktober 2019, als er ein ebenso deutliches Foul an Makoto Hasebe nicht anzeigte, was Eintracht Frankfurt einen Gegentreffer gegen den 1. FC Union Berlin bescherte, versagte er als Video-Schiedsrichter schlicht und ergreifend.
„Wofür haben wir einen VAR?“, fragte HSV-Trainer Tim Walter nach der Pleite am Millerntor lakonisch. In der Tat können die finanziellen Mittel, die für den Video-Schiedsrichter und dessen Assistenten (am Freitagabend saß Marco Achmüller vom SV Würding an Perls Seite) aufgewendet werden, gespart werden, wenn es im Ergebnis trotzdem noch derart viele Fehlentscheidungen gibt. In der Zweiten Bundesliga war der Video-Schiedsrichter mit Beginn der Saison 2019/2020 eingeführt worden. Den „Rothosen“ bleibt zu wünschen, dass bei ihren Spielen zukünftig nicht mehr Perl im Kölner Keller sitzen wird. Im Sinne der sportlichen Fairness wäre es zudem wünschenswert, dass Perls wiederholte Benachteiligungen der HSV-Kicker auch einmal an anderer Stelle wahrgenommen werden und Konsequenzen für ihn zur Folge haben!
(Johannes Speckner)